MIDLIFE CRISIS
Eigentlich gibt es sie gar nicht, meinen einige Experten, aber so ab 40 fragen sich viele Männer: Soll so mein Leben weitergehen? War es das schon? "Eigentlich ist alles in Ordnung, aber zufrieden bin ich damit nicht!" fasst vielleicht mancher sein Gefühl mit seinem Leben in Routine am besten zusammen. Frauen haben durchaus ähnliche Gefühle, aber bei ihnen erklärt man diese dann als Erscheinungen der Wechseljahre, der Menopause. Männer hingegen zeigen kaum so drastische biologische Veränderungen, als dass man bei ihnen von männlichen Wechseljahren sprechen könnte. Aber wissenschaftliche Erklärungen helfen kaum über die Situation hinweg. Sind doch die Symptome für die Betroffenen so eindeutig. Die Karriere-Chancen werden plötzlich drastisch weniger, man braucht auf einmal eine Brille, es stört zunehmend die immer deutlichere Glatze, die Falten werden sichtbar, die Leistungsfähigkeit wird spürbar weniger. Scheidungen werden häufiger oder die Folgen vergangener Scheidungen sind spürbarer. Zwar sind alle Einschränkungen einzeln nur sehr gering, aber in der Summe sind sie durchaus markant. Kann man sich doch noch so gut daran erinnern, wie viel besser es früher gelaufen ist. Auf der anderen Seite steigen die Anforderungen ständig. Die Kinder werden größer und anspruchsvoller, die Eltern älter und beginnen gebrechlich zu werden, beides fordert die Menschen um 40 durchaus spürbar. Größere finanzielle Verpflichtungen, wie Erwerb von Immobilien, werden eingegangen und belasten zusätzlich. Die ersten Freunde oder Bekannten bekommen Herzinfarkte, einige sterben auch schon an Krebs. Der Tod wird konkreter und das Bewusstsein wächst, dass das Leben endlich ist und vielleicht sogar kürzer ist, als man sich das bisher vorgestellt hat. Mag der Ausdruck "Krise" zwar übertrieben sein, er passt ganz gut für diesen Übergang, der für viele einen kreativen Schub bringen wird, finde ich. Denn er hilft, sich die neue Situation bewusst zu machen und einige Veränderungen einzuleiten. Viele kommen sich in der Mitte des Lebens vor, in einem "Gefängnis" zu leben. Zwar hat man sich dieses Gefängnis mit Routine selbst geschaffen und es ist objektiv auch gar nicht so schlecht darin zu leben, aber man fühlt sich doch eingeengt, vielleicht sogar eingesperrt. Und die Aussicht, darin den Rest seines Lebens verbringen zu müssen, ist wenig motivierend. Die Perspektiven der Jugend sind entweder schon erfüllt oder sie müssen für immer abgeschrieben werden. Wo sind jetzt die neuen Perspektiven? Nachdem der biologische Sinn des Lebens schon erfüllt ist (für Nachkommen zu sorgen), was bleibt jetzt noch? Wirklich nur ein Buch zu schreiben und einen Baum zu pflanzen? Viele Männer bemerken auch ein Nachlassen ihrer sexuellen Potenz, auch wenn dies nur langsam geschieht. Sie fürchten sich vor den zwei Tiefpunkten der Männlichkeit, erstens wenn es das zweite mal nicht mehr klappt und dann zweitens, wenn es das zweite mal zum ersten mal nicht mehr klappt. Es werden Schuldige gesucht, nicht selten müssen dann Familienangehörige, Partner sowohl als auch Kinder, dafür herhalten. Aber auch dieses verbessert die Situation nicht, ganz im Gegenteil. Die Begrenzungen des Gefängnisses werden gar nicht so klar wahrgenommen, denn es sind nicht nur die Verpflichtungen, sondern inzwischen auch die Gewohnheiten, die fast noch mehr einengen. Gewohnheiten, die aus Erfahrungen entstanden sind und die sich bisher gut bewährt haben und die im Alltag durchaus auch für Effizienz gesorgt haben. Vielen platzt dann in dieser Situation der Kragen und mit - immer noch - jugendlichem Ungestüm werden dann Impulshandlungen eingeleitet. Neue Partner (mit Scheidung) oder aus dem Berufsleben aussteigen (endlich werden die wahren Berufsträume erfüllt) sind dann häufige Reaktionen oder zumindest häufige gewälzte Gedanken. Für kurze Zeit mag dies sogar Erleichterung bringen, aber das Problem lag ja weniger im Umfeld, als in einem selbst. Und vor sich selbst kann man so schlecht fliehen. Also werden die revolutionären Ansätze oft gar nicht so erfolgreich sein. Ein sanfter, aber konsequenter, evolutionärer Ansatz erscheint mir nicht nur als der "vernünftigere" Weg, sondern auch als der langfristig wirkungsvollere zu sein. Die Lebensbilanz Es wird in diesem Lebensabschnitt Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Praktischerweise geschieht dies in Gesprächen, deren Ergebnisse aber notiert werden müssen, damit man auf ihnen aufbauen kann. Als Gesprächspartner bieten sich Ehepartner an (wenn diese Vertrauen zu einander haben), Freunde, die einen gut kennen, aber auch (dafür ausgebildete) Außenstehende, z.B. Therapeuten. Man wird für diesen "Termin mit sich selbst" einige Zeit brauchen (z.B. ein Wochenende in einem schönen, ruhigen Ferienort) und auch dafür vom Alltag (z.B. von den Kindern) abgeschirmt sein müssen. Sinn dieser Bilanz ist, sichtbar zu machen, was man denn schon erreicht hat und damit ein Fundament für notwendige Veränderungen zu haben. Denn Veränderungen kann man nur dann wirkungsvoll einleiten, wenn man nicht nur das Ziel genau kennt, sondern auch über die Ausgangssituation genau Bescheid weiß. Wird diese Bilanz ehrlich gemacht, so wird man erkennen (müssen), dass in einigen Bereichen des Lebens die Höhepunkte schon überschritten sind. Zum Beispiel für die Karriere wird dies gelten. Denn die meisten werden mehr oder weniger auf dem Plateau, das sie bis dahin erreicht haben, bleiben müssen. Nur wenige werden weiter aufsteigen, aber es werden auch einige absteigen. Mit der Karriere wird sich auch das Einkommen stabilisieren. Größere Sprünge nach oben werden unwahrscheinlich, eher steigt schon die Gefahr, z.B. durch Arbeitslosigkeit, Einbußen hinnehmen zu müssen. Auch körperliche Leistungen (z.B. im Sport) werden kaum noch zu überbieten sein. Für Berufssportler ist dies keine Neuigkeit, aber viele Laien sind gut beraten, dies dann zur Kenntnis zu nehmen. Es werden ihnen dadurch vielleicht größere Probleme mit Unfällen oder Verletzungen erspart bleiben. Aber nicht alles nimmt ab. Viele wichtige Bereiche profitieren von der Anhäufung mit der Zeit. Der wichtigste ist sicherlich die Erfahrung, auch Kontakte gehören dazu. Ebenfalls kann - bei vernünftiger Haushaltsführung - auch das Vermögen ansteigen. Als gute Checkliste für das Bilanz-Gespräch kann die Liste der Lebensressourcendienen. Mit ihr wird man wichtiges kaum vergessen. Neue Horizonte Bei den meisten Menschen wird diese Lebensbilanz ganz erfreulich ausfallen. Viele werden Genugtuung dabei empfinden, vielleicht sogar Stolz. Aber das Problem war ja weniger die Vergangenheit, sondern es sind die Perspektiven für die Zukunft. Wie kann man nun mit dieser Bilanz "Neue Horizonte" erschließen? Alles aufgeben und neu anfangen? Sicherlich würde dies neue Herausforderungen bringen und den einen oder anderen auch zu neuen Höchstleistungen anspornen, aber das Risiko ist doch sehr groß, vor allem in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Wer allerdings feststellt, dass sein bisheriges Leben fast nur von Eltern oder Partnern fremdbestimmt war, hat jetzt - wahrscheinlich zum letzten Mal - die Chance für wirklich radikale Veränderungen. Und er oder sie wird diese dann auch mit aller Gewalt (und wahrscheinlich auch gegen alle Vernunft) durchsetzen. Dies wird aber nur selten der Fall sein, sind wir doch als Friedensgeneration in einem reichen, liberalen Land alle schon mit relativ wenigen Zwängen aufgewachsen. Ein sicheres Einkommen mag zwar keine totale Sinnerfüllung sein, aber es ist doch eine gute Basis für vieles. Also warum dieses gute Fundament aufgeben? Denn ab 40 wird es schon schwer, sich nochmals ganz neu zu positionieren und ab 50 wird es fast unmöglich. Aber es gibt im Berufsleben - auch in Krisenzeiten - immer wieder Chancen zu neuen Herausforderungen, die weniger riskant als ein totales Aussteigen sind. Sie versprechen zwar auch keinen Aufstieg, machen aber trotzdem Spaß, weil sie die Erfahrung erweitern, neue Kontakte versprechen und auch neue Freiräume, eventuell sogar mehr Macht bieten. Sie bekommt man meist durch Spezialisierung, die sich in dieser Lebensphase immer wieder anbietet. In den Nischen des Spezialgebiets lässt es sich dann - zumindest für einige Zeit - dann meist ganz gut leben. Aber auch das Gegenteil der Spezialisierung, die Generalisierung, ist eine interessante Möglichkeit für jene, die dafür geeignet sind. Die langjährige, reiche Erfahrung macht viele Menschen um die 40 zu idealen Lehrern. Viele bemerken in dieser Zeit ihr pädagogisches Talent und sie vermitteln ihr Wissen an andere, meist jüngere weiter. Auch dies ist ausgesprochen befriedigend und eine gute Chance, seinem Leben wieder mehr Sinn zu geben. Auch im weitesten Sinne politische Aktivitäten werden in dieser Lebensphase interessant. Die bisher geknüpften Netzwerke sind schon dicht genug, um sich - bei Interesse - nun in der Politik, sei es nun die Firmenpolitik oder auch die Parteipolitik zu versuchen. Dies wird nicht jedem liegen, aber Menschen, die gut kommunizieren können, nicht leicht zu frustrieren sind und ein großes Machtbedürfnis haben, sollten es zumindest riskieren. In manchen Berufen kann man eine bezahlte (oder auch unbezahlte) Auszeit nehmen, ein sogenanntes Sabbatical Leave. Diese Chance wird man gerade in dieser Phase des Lebens schätzen. Denn damit kann man sich ohne große Probleme neu positionieren. Mit der Lebensbilanz in der Hand, aus der ersichtlich wird, was man bisher schon gut gemacht hat, wird man sicherlich im beruflichen Bereich einige Möglichkeiten für mehr Spaß am Leben finden. Aber was ist mit dem privaten Bereich? Kann man auch hier das Leben umbauen und so damit bereichern? Gewohnheiten Analog der beruflichen Entwicklung in die Breite (und nicht mehr in die Höhe) würden sich im Privatleben nun Hobbys anbieten. Sie können zu einer wichtigen Quelle der Zufriedenheit werden und neue Lebensinhalte bieten. Gut gewählt sind Hobbys dann auch für den Ruhestand wichtig, der zwar noch in weiter Ferne zu liegen scheint, aber es vergehen mit zunehmenden Alter die Jahre einfach sehr viel schneller. Der Ruhestand kommt also mit Riesenschritten heran und nur wer sich in relativ jungen Jahren die notwendigen Fähigkeiten angeeignet hat, wird diese dann im Alter auch zur Verfügung haben. Aber viele Menschen sind auch mit 40 schon gar nicht mehr in der Lage neue Kreativität mit Hobbys zu entwickeln, weil sie so eingeengt sind von ihrem Umfeld, dass sie gar nicht mehr dazu kommen. Denn das Hauptproblem werden für sie die Gewohnheiten. Ihr Leben hat einen so festen Rhythmus, der ein Ausbrechen schon gar nicht mehr zulässt. Wer also sein Leben umbauen will, muss schon sehr viel Kraft aufbringen, will er (oder auch sie) das Gefängnis der Gewohnheiten aufbrechen und neue Verhaltensmuster zulassen. Im Prinzip wäre der evolutionäre Ansatz zum Schaffen neuer Horizonte ganz einfach:
Wenn es also so schwierig ist, sich selbst noch zu verändern, aber der augenblickliche Zustand auch alles andere als befriedigend ist, wo bleibt dann der Ausweg? Ich meine, es sind die kleinen Veränderungen, die genügen, um in ihrer Summe dann doch wieder eine größere Veränderung, ohne die vorher genannten dramatischen Anlässe, zu bewirken. Fragen Sie sich dazu:
Das Leben geht weiter Hat man erst einmal eingesehen, dass viele Höhepunkte des Lebens vorbei sind und hat man sich dann auf die neue Situation eingestellt, wird vieles leichter. Auch wenn diese Einsicht schmerzlich ist, sie bedeutet keinesfalls das Ende des Lebens. Wer es richtig macht, hat in der Mitte des Lebens noch ein sehr reiches und erfülltes Leben vor sich. Die beiden großen Vorteile in der zweiten Lebenshälfte sind die gesammelte Erfahrung (Know-How) und die geschlossenen Kontakte (Know-Who). Beide wachsen kontinuierlich mit dem Alter und beide können immer besser eingesetzt werden. Menschen in diesem Lebensabschnitt können auch immer mehr zu Genießern werden. Mit Kenntnis und auch mehr Geld als früher werden viele Genüsse jetzt erst erfahrbar und erschwinglich. Mit mehr Zeit und Gelassenheit lassen sich die Genüsse auch vertiefen. Ebenfalls leichter wird der Verzicht auf Dinge, die man nicht wirklich unbedingt braucht. Mit dem Verzichten gewinnt man Freiheit. Man könnte dazu kritischer Weise sagen, wer sich nicht bewegt, spürt eben seine Fesseln nicht mehr. Aber man könnte es auch so sehen, dass mit jedem Verzicht die Gitterstäbe des Gefängnisses weiter weg rücken und man sich tatsächlich freier bewegen kann. Auch lernen Menschen immer besser sich kennen und können so vielen Problemen leichter aus dem Weg gehen. Hat man manche Ziele abgehakt, bekommt man eine neue Narrenfreiheit, die man bestens nutzen kann. Dies gilt nicht nur für die Pensionierung, sondern schon vorher, man muss sich nur in Würde von der Jugend verabschieden können. Leider macht es der Jugendwahn unserer heutigen Gesellschaft nicht leicht, dieses auch zu wagen. Aber ich denke, je mehr Menschen den Mut dazu finden, sich nicht immer den Zwängen "ewiger Jugend" zu beugen, um so leichter wird es dann für die einzelnen. Und wir dürfen nie vergessen, dass Alte zunehmend politische Macht bekommen, auch dies wird ihnen helfen. Ohne die Krise in der Mitte des Lebens würden wir uns nicht bewusst auf die neue Situation einstellen können. Wir brauchen also diesen Anlass, um die neuen Phasen unseres Lebens besser zu gestalten und um nicht dauerhaft unter den Veränderungen zu leiden. Also Männer (und Frauen) um die 40, nehmt diese neuen Chancen auch wahr! Wie bei jeder Krise, so nutzen auch die Midlife Crisis manche Menschen, Firmen und Organisationen, um mit den Betroffenen Geld zu verdienen. ("Krise = Chance" wird da ganz egoistisch interpretiert!). Da darunter immer auch einige Scharlatane sind, sollte man besonders vorsichtig sein, wenn zu teure, zu einfache oder zu radikale Lösungen angeboten werden. Jugend ist nicht verlängerbar, nicht alles ist machbar oder erreichbar. Eine realistische Sicht der Lage wird hilfreicher sein als nur Wunschdenken, ein evolutionärer Ansatz wird Erfolg versprechender sein, als eine totale Veränderung der Lage. Auch kleine Schritte können weiter führen und man braucht nicht immer gleich seine Weltanschauung radikal zu ändern, nur um über eine Übergangsphase hinweg zu kommen. Manche Probleme vergehen einfach (fast) von selbst, das wird auch für die meisten Midlife-Krisen gelten. Oft braucht es nur etwas Einsicht und viel Geduld, um sie gut zu überstehen. Übrigens, die nächste Übergangsperiode kommt bestimmt. Es wird der Abschied aus dem Berufsleben und der Eintritt in den Ruhestand sein. Wer mag, kann auch dazu meine Tipps lesen. |
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